
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser
«Die Herren dieser Welt gehen, unser Herr aber kommt.» Das ist die Grundtatsache der Welt. Aus ihr schöpfen Christen Kraft und Hoffnung. Aus heutiger Sicht ist es erstaunlich, dass es ein hoher Politiker war, der diesen Satz frank und frei ausgesprochen hat: Gustav Heinemann, von 1969 bis 1974 deutscher Bundespräsident.
Heute würde sich kaum noch ein Politiker anschicken, ein so klares christliches Bekenntnis abzulegen, dem eine heilsgeschichtliche Weltsicht und damit die Vorstellung von einem linearen, zielgerichteten Verlauf der Geschichte zugrunde liegt. Heinemann hat damit auf die biblische Sicht verwiesen, dass sich die Wahrheit Gottes letztlich doch durchsetzt, mögen die Widersacher Gottes auch schlimme Siege erringen.
Einen schlimmen Triumph hatte widergöttliches Denken vor fast hundert Jahren in der Türkei errungen, als dort das Christentum ausgerottet werden sollte. Millionen von armenischen, aramäischen und griechisch-orthodoxen Christen wurden ermordet und vertrieben. Zehntausende überlebten nur deshalb, weil sie in die innere Emigration gingen und zum Schein zum Islam konvertierten. Und heute geschieht, abseits des Medieninteresses, Wundersames: Nachkommen der Zwangskonvertierten kehren «Aus dem Dunkel ans Licht», wie der Türkeikenner und Islamexperte Heinz Gstrein aus Istanbul berichtet (ab S. 26). Die Überlebenden des Genozids bekennen sich wieder zu ihrem Glauben an Gott, bekehren sich, lassen sich taufen.
Dieses Geschehen, das auch von Gottes Liebe und Langmut kündet, erinnert an die vielen Juden in der Diaspora (etwa aus der ehemaligen Sowjetunion), die in ähnlich wundersamer Weise zum Glauben ihrer Väter zurückkehren – obwohl nach Jahrzehnten der Religionsunterdrückung in den Familien kaum noch Glaubenspraxis existierte, viel Wissen verloren war.
Gott offenbart sich als der Herr der Geschichte und in seinem Schöpfungswerk. Das ist das tröstliche Fundament von jedem dieser Artikel.
Dass der Text von Heinz Gstrein mit so hochprofessionellen Fotos illustriert werden konnte, ist eigentlich auch ein kleines Wunder. Lange ist es her, dass der menschlich und professionell von mir sehr geschätzte Fotograf Werner Kuhnle und ich in derselben Region arbeiteten und wir regelmässig Kontakt hatten. Und dann, vor wenigen Wochen, ein unverhofftes, freudiges Wiedersehen. Werner berichtete von einem geplanten Kurzurlaub in Istanbul. Der Bericht von Heinz Gstrein lag schon auf dem Schreibtisch. Spontan änderte Werner sein Urlaubsprogramm und fotografierte exklusiv für factum in Istanbul. Einer vergleichbaren Fügung ist es zu verdanken, dass wir die herausragenden Fotografien von Hanna Dengler von alten Menschen veröffentlichen können. All das ist mir Grund zum Danken.
Der erste Satz in dieser factum-Ausgabe, das Zitat von Gustav Heinemann, korrespondiert mit dem letzten Satz dieser Ausgabe, einem Vers aus Psalm 19, der davon spricht, dass die Herrlichkeit Gottes in der Schöpfung sichtbar wird. Das ist der Bogen, der in dieser Ausgabe von factum auf jeder Seite in der einen oder anderen Weise deutlich werden soll, die Klammer, die alles zusammenhält: Gott ist der Herr der Geschichte, er offenbart sich in der Geschichte (etwa in seinem Handeln mit seinem Volk Israel) und er ist der Schöpfer, der in seinen Werken offenbar wird.
Auf diesem tröstlichen Fundament finden auch die Titelgeschichte, die Berichte über Menschenhandel, über die Verfolgung von Christen, über die Misere der wertevergessenen EU-Schuldenpolitik ihre tatsächliche Einordnung. Mit diesem trostreichen Gedanken wünsche ich Ihnen eine bereichernde und gesegnete Lektüre,
Ihr Thomas Lachenmaier, Redaktionsleiter